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Mann hat roten Umhang an

Interview Hans-Jürgen Papier: „Der Staat ist Diener der Freiheit“

Er war Präsident des Bundesverfassungsgerichts – und bis vor kurzem Ombudsmann der SCHUFA. Im Interview spricht Hans-Jürgen Papier über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit und die autoritäre Versuchung in Krisenzeiten.

SCHUFA: Herr Papier, das 21. Jahrhundert ist bisher ein Krisenjahrhundert: Finanzkrisen, Flüchtlingskrise, Coronapandemie, Ukrainekrieg und Klimawandel. Gefährden sie den demokratischen Rechtsstaat?

Hans-Jürgen Papier: Der Rechtsstaat ist seit Beginn der Bundesrepublik noch nie in dieser Intensität herausgefordert worden. Es gab die terroristischen Angriffe der RAF auf den Staat in den 70ern. Aber die Anzahl und die Frequenz der aktuellen Krisen fordert den Rechtsstaat permanent heraus – und damit die Freiheit. In den Worten Friedrich Schillers: „Die schönsten Träume von Freiheit werden ja im Kerker geträumt.“

Was heißt das?

Der Wert der Freiheit wird so manchem erst bewusst, wenn sie ernsthaft gefährdet ist. Insofern ist für die deutsche Bevölkerung doch einprägsam, dass sich die Menschen der Ukraine gegen den rechtswidrigen Angriff Russlands in einer beeindruckenden Weise wehren – um der Freiheit willen! Wir erleben Gott sei Dank in Deutschland und der EU keine vergleichbaren Angriffe auf die Freiheit. Aufgrund der vielen Krisen kann eine autoritäre Versuchung in der Gesellschaft, in der Politik, aber auch in den Medien beobachtet werden.

Was meinen Sie mit autoritärer Versuchung?

Nehmen Sie die Coronapandemie. Die Aufklärung hat die Erkenntnis hervorgebracht, dass der primäre Zweck des Staates der Schutz der Freiheit ist. Andererseits muss der Staat die Sicherheit im physisch-körperlichen Sinne sowie die Gesundheit der Bevölkerung schützen. In diesem Konflikt gab es meines Erachtens während der Corona-Pandemie keinen angemessenen Ausgleich. Die auch von den Spitzen der Politik geäußerte Meinung, bei der Pandemiebekämpfung gebe es keine roten Linien, ist kein legitimer Standpunkt in einem liberalen Rechtsstaat.

Zur Person: Hans-Jürgen Papier

Mann lehnt sich am Tisch an

Geboren: 6. Juli 1943 in Berlin-Mariendorf.

Karriere:
Der Staatsrechtswissenschaftler war von 1998 an Vizepräsident und von 2002 an Präsident des Bundesverfassungs-
gerichts in Karlsruhe. In seine Amtszeit fielen wegweisende Urteile zu Online-Durchsuchungen und dem Großen Lauschangriff. Das IT-Gesetz geht maßgeblich auf Papier zu rück. Nach seinem Ausscheiden 2010 am höchsten deutschen Gericht lehrte er wieder als Professor an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. 2011 wurde er emeritiert. Seitdem ist er als Publizist aktiv und bekleidete Ämter wie das des unabhängigen Ombudsmanns der SCHUFA.

Bücher: Die letzten beiden Publikationen beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit und der Entwicklung des Rechtsstaats. 2019 erschien „Die Warnung. Wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“, 2021 veröffentlichte er „Freiheit in Gefahr: Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können“ jeweils im Heyne-Verlag.

Mann spricht

Wo wurden rote Linien zu Lasten der Freiheit überschritten?

Nehmen Sie die Schließung der Kitas und Schulen. Nehmen Sie die Verhängung von Ausgangssperren für Einzelpersonen nach 21 oder 22 Uhr. Bei ruhiger Betrachtung hätte man früh sehen können, dass sie nicht notwendig waren, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. In Krisenzeiten sind Freiheitsrechte besonders einschränkbar. Keine Frage. Aber dies darf nur in engen verfassungsrechtlichen Grenzen geschehen.

Die Coronapandemie ist vorbei. Gibt es die Gefahr der autoritären Versuchung immer noch?

Die Politik in einem liberalen Rechtsstaat muss aufpassen, dass aus freien Bürgerinnen und Bürgern nicht Untertanen werden. Deshalb gibt es zwei Gefahren: eine Politik mit hastigen Ad-hoc-Entscheidungen und eine Politik mit Überreglementierungen. Beides führt zu einer Entfremdung zwischen Politik sowie Wählerinnen und Wählern. Diese fühlen sich vielfach nicht mehr repräsentiert, treten der großen Fraktion der Nichtwähler bei oder wählen rechtsradikale Protestparteien wie die AfD. Der Staat darf sich nicht anmaßen, seiner Bevölkerung alle Risiken vermeintlich abzunehmen. Dann wird der Staat selbst zum Risiko, weil er die Selbstbestimmtheit der Menschen aushöhlt.

Mit dem Aufstieg der AfD ist eine rechtsradikale Politik salonfähig geworden. Was ist Ihr Blick darauf?

Hier gibt es drei Ebenen zu betrachten: Rechtsstaat, Gesellschaft und Politik. Der Rechtsstaat kann dieses Phänomen nur bedingt einhegen. Wir sind eine wehrhafte Demokratie, aber wir haben auch Meinungsfreiheit, wir haben Parteienfreiheit. Es gibt im Prinzip nur das rechtsstaatliche Mittel des Parteiverbots. Schwierig. Die Zivilgesellschaft ist hier auf jeden Fall gefordert, die Idee und den Wert der Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zu befördern. Was den Willen zur Freiheit anlangt: Nehmen wir uns ein Beispiel an der ukrainischen Bevölkerung! In unseren Gesellschaften ist Freiheit eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Das ist sie aber nicht. Sie muss verteidigt werden.

Was ist mit der dritten Ebene, der Politik?

Ich empfehle den Parteien, für die Bevölkerung nachvollziehbare und nachhaltige Politik zu machen. Sie müssen die Probleme der Menschen wirklich annehmen. Ein Beispiel: Die Flüchtlingspolitik ist spätestens seit 2015, seit dem Ausspruch „Wir schaffen das“ der damaligen Kanzlerin ungelöst. Ich kann nicht ignorieren und verdrängen, dass es vor allem in den Kommunen immense Probleme gibt. Nach allen Umfragen ist das für die Menschen ein entscheidendes Thema. Also muss die Politik es lösen. Es wird aber ignoriert, was die Menschen umtreibt. Das ist ein Vakuum, das radikale Parteien füllen oder zur Politik- und Parteienverdrossenheit führt.

Sie haben parteipolitisch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich der CDU, mit ihrem Umzug nach München der CSU zugehörig fühlen. Fehlt ein neuer, moderner Konservatismus, der gesellschaftliche Strömungen, die in die AfD mündeten, aufsaugen kann?

Nach meiner Einschätzung ist der liberale Konservatismus in der Gesellschaft verbreiteter als wir denken. Er findet im gegenwärtigen Parteiensystem nur kein Abbild mehr. Die Union ist in weiten Teilen bemüht, diese Rolle wieder einzunehmen, aber so recht gelingt ihr das nicht.

Sie bezeichnen sich als liberalen Konservativen. Was ist der Kern dieser Haltung?

Der liberale Konservatismus ist geprägt von der Idee, dass der Zweck des Staates in erster Linie die Freiheit ist. Der Staat hat keinen Selbstzweck. Er soll nicht Sinn stiften. Er ist aber auch kein Laissez-faire-Staat. Denn er ist zugleich ein sozialer Rechtsstaat, der Werte wie Chancengleichheit garantiert, und darauf achten muss, dass die Menschen von den Freiheitsrechten auch Gebrauch machen können. Was nützt das Recht auf Eigentum, wenn es immer weniger Eigentümer gibt, und etwa Immobilien stattdessen in ganz großem Stil von Großinvestoren aufgekauft werden. Was nützt das Recht auf Berufsfreiheit, wenn es keine Arbeitsplätze gibt. Der Staat ist Diener der Freiheit. Das ist für mich liberaler Konservatismus.

SCHUFA-Festakt für Hans-Jürgen Papier

Die SCHUFA veranstaltet am Donnerstag, 7. September 2023, einen Festakt zu Ehren des scheidenden Ombudsmanns Hans-Jürgen Papier in der Hessischen Landesvertretung in Berlin. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts war neun Jahre lang in dieser Funktion tätig.

Nach der Begrüßung der SCHUFA-Vorstandsvorsitzenden Tanja Birkholz hält der Journalist Heribert Prantl, langjähriger Innenpolitik-Ressortlieter und Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, die Laudatio auf Hans-Jürgen Papier. Danach diskutieren Papier und Prantl „Den Wert der Freiheit“. Moderiert wird die Veranstaltung von Journalistin und Moderatorin Ines Arland.

Nachfolgerin von Hans-Jürgen Papier ist die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die von 1. September 2023 das Amt der Ombudsfrau übernahm.

Mann lehnt sich an Tisch an

Sie plädieren dafür, den Wert der Nachhaltigkeit von Politik ins Grundgesetz zu schreiben. Ist das jetzt liberal-konservativ oder doch schon progressiv?

Das ist eine konservative Einstellung: Die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft müssen auch für künftige Generationen noch gelten. Wenn man die Ressourcen dieser Erde durch kurzfristige Politik ausschöpft, ist ein künftiges Zusammenleben wahrscheinlich nur noch mit autoritären Lenkungsmaßnahmen möglich. Politische Maßnahmen haben nicht nur den Zweck, die aktive Wählerschaft zu befriedigen. Das ist für mich eine konservative Einstellung. Ich habe dabei vorgeschlagen, dass jedes Gesetz einem verfassungsrechtlichen Nachhaltigkeitsgebot zu entsprechen hat und der Gesetzgeber begründen muss, warum dieses Gesetz auch künftig tragfähig ist. Das ist nicht nur im Umweltschutz und bei der Bewältigung der Klimakrise von großer Bedeutung, sondern etwa auch in der Sozialpolitik.

Nennen Sie ein Beispiel.

In der Rentenpolitik müssten Entscheidungen mit Rücksicht darauf getroffen werden, wer das System künftig tragen und bezahlen muss – und nicht wer kurzfristig davon profitiert, weil die gegenwärtigen Rentnerinnen und Rentner eine rein numerisch wichtige Wählerschaft sind. Regelungen etwa in Bezug auf die Mindestrente müssten immer davon geleitet werden, wer sie dauerhaft sichert. Das sind unsere Kinder, Enkelkinder und die Generation, die noch nicht geboren ist.

Ihre Zeit in Karlsruhe von 1998 bis 2010 war in der Folge der Anschläge von 9/11 geprägt von einer ganz neuen Konfliktdimension zwischen Freiheit und Sicherheit. Worin bestand die Herausforderung?

Die verheerenden Anschläge vor allem in den USA führten dazu, dass auch Deutschland eine ganz neue Sicherheitsarchitektur entwickelt hat, mit neuen Instrumenten, die es ohne die Digitalisierung und Globalisierung gar nicht gegeben hätte: etwa Vorratsdatenspeicherung, Wohnraumüberwachung, Einsatz von Trojanern. Es ging wie später bei der Corona-Pandemie nicht um irgendeine Sicherheit, sondern um die körperlich-physische Sicherheit. Die neue Sicherheitsarchitektur hat aber die Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit direkt herausgefordert.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Warnung“: „Wenn jemand nicht mehr überschauen kann, wer in einer Gesellschaft was, wann und bei welcher Gelegenheit über einen weiß, wird er in seiner Persönlichkeit und seiner Ausübung von Freiheitsrechten gefährdet.“ Soll der Staat doch wieder die schützende Hand ausstrecken?

Ich greife hier die Worte des Bundesverfassungsgerichts auf. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen richtet sich zunächst gegen den Staat. Es schützt vor unverhältnismäßigen und willkürlichen Maßnahmen der Staatsgewalt. Wir beobachten als Folge der Digitalisierung und Globalisierung aber eine Entwicklung, die sehr besorgniserregend ist. Dass Grundrechte, von Datenschutz bis Telekommunikationsgeheimnis, nicht nur seitens des Staates eingeschränkt werden, sondern von Dritten. Die neue Herausforderung sind global agierende Konzerne, die Freiheitsrechte von Einzelnen tangieren.

Sie meinen die großen US-Digitalkonzerne?

Hier entstehen Schutzpflichten des Staates. Denn hier herrscht eine asymmetrische Dominanz gegenüber den Kundinnen und Kunden. Im Umgang mit den globalen Konzernen sind dabei zwei Punkte wichtig: die Weitergabe persönlicher Daten sowie die Zweckänderung dieser Daten. Beide Fälle begründen einen erneuten Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – und sind damit rechtfertigungsbedürftig. Wir haben durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erreicht, dass die international agierenden Datenkonzerne auch dem Recht der EU unterliegen, wenn sie ihre Dienste in der EU anbieten.

Sie haben fast zehn Jahre – wenn man so will - die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der SCHUFA überwacht. Sie waren der unabhängige Ombudsmann, der geprüft hat, wie die SCHUFA mit den sehr sensiblen Daten ihrer Kundinnen und Kunden umgegangen ist. Jetzt hören Sie auf. Wie lautet Ihr Fazit?

Während meiner neunjährigen Tätigkeit habe ich niemals ein absichtliches oder ein systematisches Versagen der SCHUFA bei der Verarbeitung personenbezogener Daten feststellen können. Wenn es Beanstandungen gab, dann waren es Fehler im Einzelfall. Zum Teil lagen sie bei der SCHUFA, zum Teil bei den Vertragspartnern. Oft war die Ursache gar nicht festzustellen. Aber eine systematische Lücke habe ich nicht festgestellt.

Was kann die SCHUFA besser machen?

Zunächst haben die Menschen, die ein Ombudsmannverfahren beantragen, ein eher schlechtes Bild von der SCHUFA. Sie fühlen sich ungerecht behandelt. Also ist es an der SCHUFA klarzumachen: Ohne das Informationssystem von Auskunfteien wie der SCHUFA wären die Geschäftsmodelle der heutigen Zeit nicht möglich.

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