
Sie plädieren dafür, den Wert der Nachhaltigkeit von Politik ins Grundgesetz zu schreiben. Ist das jetzt liberal-konservativ oder doch schon progressiv?
Das ist eine konservative Einstellung: Die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft müssen auch für künftige Generationen noch gelten. Wenn man die Ressourcen dieser Erde durch kurzfristige Politik ausschöpft, ist ein künftiges Zusammenleben wahrscheinlich nur noch mit autoritären Lenkungsmaßnahmen möglich. Politische Maßnahmen haben nicht nur den Zweck, die aktive Wählerschaft zu befriedigen. Das ist für mich eine konservative Einstellung. Ich habe dabei vorgeschlagen, dass jedes Gesetz einem verfassungsrechtlichen Nachhaltigkeitsgebot zu entsprechen hat und der Gesetzgeber begründen muss, warum dieses Gesetz auch künftig tragfähig ist. Das ist nicht nur im Umweltschutz und bei der Bewältigung der Klimakrise von großer Bedeutung, sondern etwa auch in der Sozialpolitik.
Nennen Sie ein Beispiel.
In der Rentenpolitik müssten Entscheidungen mit Rücksicht darauf getroffen werden, wer das System künftig tragen und bezahlen muss – und nicht wer kurzfristig davon profitiert, weil die gegenwärtigen Rentnerinnen und Rentner eine rein numerisch wichtige Wählerschaft sind. Regelungen etwa in Bezug auf die Mindestrente müssten immer davon geleitet werden, wer sie dauerhaft sichert. Das sind unsere Kinder, Enkelkinder und die Generation, die noch nicht geboren ist.
Ihre Zeit in Karlsruhe von 1998 bis 2010 war in der Folge der Anschläge von 9/11 geprägt von einer ganz neuen Konfliktdimension zwischen Freiheit und Sicherheit. Worin bestand die Herausforderung?
Die verheerenden Anschläge vor allem in den USA führten dazu, dass auch Deutschland eine ganz neue Sicherheitsarchitektur entwickelt hat, mit neuen Instrumenten, die es ohne die Digitalisierung und Globalisierung gar nicht gegeben hätte: etwa Vorratsdatenspeicherung, Wohnraumüberwachung, Einsatz von Trojanern. Es ging wie später bei der Corona-Pandemie nicht um irgendeine Sicherheit, sondern um die körperlich-physische Sicherheit. Die neue Sicherheitsarchitektur hat aber die Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit direkt herausgefordert.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Warnung“: „Wenn jemand nicht mehr überschauen kann, wer in einer Gesellschaft was, wann und bei welcher Gelegenheit über einen weiß, wird er in seiner Persönlichkeit und seiner Ausübung von Freiheitsrechten gefährdet.“ Soll der Staat doch wieder die schützende Hand ausstrecken?
Ich greife hier die Worte des Bundesverfassungsgerichts auf. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen richtet sich zunächst gegen den Staat. Es schützt vor unverhältnismäßigen und willkürlichen Maßnahmen der Staatsgewalt. Wir beobachten als Folge der Digitalisierung und Globalisierung aber eine Entwicklung, die sehr besorgniserregend ist. Dass Grundrechte, von Datenschutz bis Telekommunikationsgeheimnis, nicht nur seitens des Staates eingeschränkt werden, sondern von Dritten. Die neue Herausforderung sind global agierende Konzerne, die Freiheitsrechte von Einzelnen tangieren.
Sie meinen die großen US-Digitalkonzerne?
Hier entstehen Schutzpflichten des Staates. Denn hier herrscht eine asymmetrische Dominanz gegenüber den Kundinnen und Kunden. Im Umgang mit den globalen Konzernen sind dabei zwei Punkte wichtig: die Weitergabe persönlicher Daten sowie die Zweckänderung dieser Daten. Beide Fälle begründen einen erneuten Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – und sind damit rechtfertigungsbedürftig. Wir haben durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erreicht, dass die international agierenden Datenkonzerne auch dem Recht der EU unterliegen, wenn sie ihre Dienste in der EU anbieten.
Sie haben fast zehn Jahre – wenn man so will - die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der SCHUFA überwacht. Sie waren der unabhängige Ombudsmann, der geprüft hat, wie die SCHUFA mit den sehr sensiblen Daten ihrer Kundinnen und Kunden umgegangen ist. Jetzt hören Sie auf. Wie lautet Ihr Fazit?
Während meiner neunjährigen Tätigkeit habe ich niemals ein absichtliches oder ein systematisches Versagen der SCHUFA bei der Verarbeitung personenbezogener Daten feststellen können. Wenn es Beanstandungen gab, dann waren es Fehler im Einzelfall. Zum Teil lagen sie bei der SCHUFA, zum Teil bei den Vertragspartnern. Oft war die Ursache gar nicht festzustellen. Aber eine systematische Lücke habe ich nicht festgestellt.
Was kann die SCHUFA besser machen?
Zunächst haben die Menschen, die ein Ombudsmannverfahren beantragen, ein eher schlechtes Bild von der SCHUFA. Sie fühlen sich ungerecht behandelt. Also ist es an der SCHUFA klarzumachen: Ohne das Informationssystem von Auskunfteien wie der SCHUFA wären die Geschäftsmodelle der heutigen Zeit nicht möglich.