2. Der Ost-West-Vergleich geht unentschieden aus.
Der SCHUFA-Risiko- und Kreditkompass zeigt keine Ost-West-Schere. Sowohl in den alten wie neuen Bundesländern gibt es Regionen, die mit hohen Zahlungsstörungen hervorstechen. Neben den Stadtstaaten Bremen und Berlin zählen vor allem Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern zu den Bundesländern mit der schlechtesten Zahlungsmoral. Hier zeigen sich auch kaum Unterschiede, wenn man zwischen sogenannten harten und weichen Negativmerkmalen unterscheidet. Während weiche Negativmerkmale Informationen über Zahlungsausfälle sind, sind harte Negativmerkmale gerichtlich bestätigte Kennzeichen über die Bonität einer Person (genauere Informationen siehe Infokasten).
Um ein genaueres Bild zu bekommen, sollte man die einzelnen Landkreise in den Bundesländern betrachten. Hier sind es vor allem die kreisfreien Städte im Ruhrgebiet wie Duisburg (19,6 Prozent), Gelsenkirchen (19,3 Prozent), aber auch Mönchengladbach (16,7 Prozent), in denen besonders viele Menschen leben, über die mindestens ein Negativmerkmal vorliegt.
In Sachsen-Anhalt sticht besonders die kreisfreie Stadt Halle (12,8 Prozent) hervor, in Mecklenburg-Vorpommern die kreisfreie Stadt Schwerin (12,5 Prozent). In beiden ostdeutschen Bundesländern sind jedoch auch viele Landkreise großflächig betroffen, hier leben also verhältnismäßig viele Menschen mit Zahlungsschwierigkeiten, wenn auch mit einem geringeren Prozentanteil als in den Städten. In Nordrhein-Westfalen hingegen ist die Schere zwischen Landkreisen mit guter bzw. mäßiger und schlechter Zahlungsmoral viel ausgeprägter.
Auch in anderen Regionen haben einzelne Landkreise einen Ausreißer-Statur: in Rheinland-Pfalz sind dies etwa die kreisfreie Stadt Primasens (16,7 Prozent) oder Stadt wie Landkreis Kaiserslautern (14,0 Prozent). Im Musterland Baden-Württemberg überrascht der Stadtkreis Pforzheim mit hohem Wert (12,6 Prozent). Im Nordwesten Deutschlands sind es die kreisfreien Städte wie Bremerhaven (18,6 Prozent), Wilhelmshaven (15,4 Prozent) in Niedersachsen oder Neumünster in Schleswig-Holstein (16,4 Prozent), in denen besonders starke Zahlungsprobleme vorliegen.
„Wir müssen die Ost-West-Brille ablegen und den Blick differenzieren“, sagt auch Dr. Judith Niehues. Sie leitet das Cluster Mikrodaten und Verteilung am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Wir sehen heute heterogene Herausforderungen und Unterschiede in Ost wie West, etwa zwischen florierenden Städten und ihren Speckgürteln, ländlichen, strukturschwachen Gebieten und Städten mit verbreiteten sozialen Problemlagen.“
Zu letzteren zählt die Expertin etwa die altindustriell geprägten Städte im Ruhrgebiet und in der Westpfalz oder auch Bremen und Bremerhaven in Norddeutschland. All diese Städte verbindet eines: „Sie sind von seit längerer Zeit anhaltenden strukturellen Herausforderungen geprägt – zu diesen zählen hohe Armutsgefährdungsquoten, eine hohe Arbeitslosigkeit und ein großer Anteil an Menschen, die von der Grundsicherung leben“, sagt Judith Niehues. Hinzu komme in diesen Städten häufig eine kommunale Verschuldung, die es erschwere, den strukturellen Herausforderungen zu begegnen. Nordrhein-Westfalen sieht die Expertin als gutes Beispiel für ein heterogenes westdeutsches Bundesland, mit sowohl wirtschaftlich prosperierenden Städten und erfolgreichem ländlichen Umland also auch Regionen mit grundlegenden Strukturproblemen.
Im Osten Deutschlands hingegen seien diese Gegensätze weniger stark ausgeprägt und die Herausforderungen anders gelagert: „Hier ist vor allem der ländliche Raum von strukturellen Problemen betroffen“, sagt Niehues. „Zusätzlich zum grundlegenden Bevölkerungsrückgang seit der Wende fand in vielen Regionen eine starke Abwanderung in die Städte statt.“ In vielen dieser Gegenden sei die grundlegende Infrastruktur wie die Gesundheitsversorgung oder der öffentliche Nahverkehr schlechter ausgebaut, und, wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern, auch die Industrieansiedlung schwach ausgeprägt.
3. Ostdeutschland zeigt sich sehr differenziert.
Die Bundesländer im Osten Deutschlands liefern im Hinblick auf Zahlungsstörungen kein einheitliches Bild. Die Unterschiede sind groß: Sachsen-Anhalt (10,8 Prozent) und auch Mecklenburg-Vorpommern (9,6 Prozent) fallen auf, da hier im Vergleich zum Bundesschnitt (8,9 Prozent) überdurchschnittlich viele Menschen mit Zahlungsschwierigkeiten leben.
Insbesondere Sachsen-Anhalt weist übergreifend schlechte Werte auf, unabhängig davon, ob man die Negativmerkmale insgesamt oder ausschließlich weiche oder harte Negativmerkmale betrachtet (siehe Infokasten). Vor allem bei den harten Negativmerkmalen, die Informationen aus öffentlichen Bekanntmachungen wie einer Vermögensauskunft, einen Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe einer Vermögensauskunft oder Informationen zu einem Verbraucherinsolvenzverfahren umfassen, ist Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland großflächig mit hohen Anteilen betroffen, nahezu alle Landkreise zeigen hier auffällig hohe Werte. Zum Vergleich: Im Gesamtschnitt weisen 4,0 Prozent der Deutschen über 18 Jahre mindestens ein hartes Negativmerkmal auf. In Sachsen-Anhalt sind es 5,2 Prozent. Landkreise mit einem besonders hohen Ausschlag sind hier neben den kreisfreien Städten Magdeburg (6,0 Prozent) und Halle an der Saale (5,8 Prozent) die Landkreise Stendal (5,5 Prozent), Altmarktkreis Salzwedel (5,4 Prozent), der Salzlandkreis (5,5 Prozent) oder Mansfeld-Südharz (5,4 Prozent).
Auch Mecklenburg-Vorpommern ist bei allen Negativmerkmalen schlechter aufgestellt als die restlichen ostdeutschen Bundesländer, allerdings liegen die Werte auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in Sachsen-Anhalt.
Thüringen und Sachsen hingegen punkten mit guten Werten. 8,1 Prozent der Menschen in Sachsen haben mindestens ein Negativmerkmal (Bundesdurchschnitt: 8,9 Prozent). Damit folgt Sachsen direkt auf die Vorzeigeländer Bayern (6,5 Prozent) und Baden-Württemberg (7,1 Prozent), die Menschen in Sachsen haben also eine besonders gute Zahlungsmoral. Brandenburg und Thüringen (beide 8,4 Prozent) teilen sich den dritten Platz in der Rangliste.
Für Judith Niehues sind auch diese SCHUFA-Zahlen schlüssig: „In Mecklenburg-Vorpommern wie auch in Sachsen-Anhalt sind Arbeitslosenquote, Armutsgefährdungsquote und Grundsicherungsquote höher als etwa in Sachsen oder Thüringen“, erklärt die Expertin.
4. Das höchste Verschuldungsrisiko haben Menschen in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Der von der SCHUFA entwickelte Privatverschuldungsindex (PVI) zeigt, wie stark kritische Anzeichen der privaten Verschuldung ausgeprägt sind. Er basiert auf kreditrelevanten Informationen und unterschiedet nach den vier Ausprägungsstufen gering, mäßig, stark und sehr stark. Der Durchschnittswert für Deutschland beträgt für das Jahr 2022 einen PVI von 872. Bremen (PVI-Wert 1.153), Sachsen-Anhalt (PVI-Wert 1.139) und Mecklenburg-Vorpommern (PVI-Wert 1.072) weisen beim Verschuldungsrisiko erneut die höchsten und damit schlechtesten Werte vor. Bayern (PVI-Wert 659) und Baden-Württemberg (PVI-Wert 717) glänzen erneut mit den niedrigsten und damit besten Indexwerten.
Betrachtet man Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern auf Landkreis-Ebene, zeigt sich, dass das Privatverschuldungsrisiko in Sachsen-Anhalt nahezu überall stark oder sehr stark ausgeprägt ist. Lediglich der Landkreis Wittenberg weist einen mäßigen Indexwert auf. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Situation weniger drastisch, hier halten sich die Landkreise mit mäßigem und starkem Privatverschuldungsrisiko die Waage.
Aber auch in anderen Bundesländern stechen einzelne Landkreise hervor: In Nordrhein-Westfalen sind es erneut die kreisfreien Städte, die ein sehr starkes Privatverschuldungsrisiko aufweisen, aber auch ganze Landkreise wie etwa der Märkische Kreis, der Kreis Heinsberg oder die Städteregion Aachen haben ein starkes Risiko. In Niedersachsen hat etwa ein Drittel aller Landkreise ein starkes Privatverschuldungsrisiko, in Brandenburg sind es die vor allem die nördlichen Landkreise wie etwa der Landkreis Prignitz oder der Landkreis Uckermark.