Teilhabe am Finanzleben erfordert von dieser Gruppe sehr viel mehr Aufwand, Geduld und Einsatz als von Menschen ohne Beeinträchtigungen // Abhängigkeit von anderen bremst eigene Erfahrungen
Wiesbaden/ Berlin, 21. Juni 2023 – In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt rund 1,8 Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten geistigen und/oder seelischen Behinderung oder zerebralen Störungen. Da nicht alle von Beeinträchtigung betroffenen Menschen einen offiziellen Nachweis beantragen, ist von einem deutlich höheren Anteil Beeinträchtigter auszugehen. Wie diese Menschen ihre Finanzen managen, wie sie einkaufen und zahlen, vor welchen Herausforderungen sie im Alltag stehen und was ihnen hilft – dazu hat die SCHUFA unter Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine Befragung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: Die Teilhabe am Finanzleben erfordert von dieser Gruppe sehr viel mehr Aufwand, Geduld und Einsatz als von Menschen ohne kognitive Beeinträchtigungen.
Kognitiv beeinträchtigte Menschen spielen in der Forschung kaum eine Rolle
„Es gibt bislang kaum Erkenntnisse, wie Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ihre Teilhabe am Finanzleben selbst wahrnehmen. In der Forschung spielt diese Gruppe kaum eine Rolle – das haben wir geändert“, sagt Dr. Ole Schröder, Vorstandsmitglied der SCHUFA Holding AG. Hintergrund der Studie ist die Partnerschaft der SCHUFA mit den Special Olympics, der größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und Mehrfach-Behinderung, die vom 17. bis 25. Juni 2023 in Berlin stattfinden. Die Befragung erfolgte in Ergänzung zu dem am 6. Juni erstmals vorgestellten Finanz-Inklusions-Index (FIX) der SCHUFA.
Teilhabeforschung mit partizipativem Ansatz
Die durch das Forschungsinstitut Ipsos durchgeführte qualitativ und quantitativ angelegte Studie wurde durch eine Co-Forschungsgruppe von Menschen mit einem breiten Spektrum von kognitiven Beeinträchtigungen begleitet. Sie wirkten bei der Entwicklung der thematischen Schwerpunkte und dem Fragebogen mit, testeten diesen und unterstützten auch bei der Interpretation der Daten.
„Wir haben die Studie bewusst partizipativ gestaltet, denn Teilhabeforschung bedeutet, nicht nur über, sondern gemeinsam mit den Menschen zu forschen, die im Zentrum stehen” erläutert
Dr. Ole Schröder den Ansatz.
Die finanziellen Mittel sind knapp, die Kosten hoch.
Beim Blick auf die finanzielle Situation der Befragten zeigt sich, dass viele ihre Situation als sehr angespannt empfinden: 38 Prozent der Befragten kommen schwer oder sehr schwer mit ihrem Einkommen zurecht. Bei vielen der Befragten ist das Geld knapp, gleichzeitig können die Kosten zur Bewältigung des Alltags hoch sein (z. B. durch Betreuungskosten oder Fahrdienste etc.). Die Gespräche mit den Befragten zeigen: Für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist es essenziell, sich Geld in Budgets einzuteilen und damit eine Struktur für kurze Zeithorizonte zu erstellen. Dabei spielt Bargeld eine große Rolle oder auch Zahlungsmittel, die mit Guthaben aufladbar sind, wie Gutschein- oder Prepaidkarten.
Das Internet ist Tor zur (Einkaufs)Welt
Für die Befragten ist das Internet ein wichtiger Ort, an dem sie ihre Einkäufe erledigen. Gerade für Menschen mit einer mehrfachen Behinderung stellt der Online-Handel eine enorme Erleichterung dar, sich auch mit den Dingen des täglichen Alltags zu versorgen. Neun von zehn Befragten (89 Prozent) haben bereits online eingekauft. Für einige ist es ein wichtiger Raum ohne sozialen Druck oder zu viele Reize, in dem sie Beträge gut berechnen und Zeit und Ruhe haben, Entscheidungen abgewogen treffen zu können. Es zeigt sich, dass ein recht breites Portfolio an Zahlungsmitteln beim Onlinekauf zum Einsatz kommt, wobei PayPal besonders häufig genutzt wird (74 Prozent).
Das eigene Konto bedeutet Freiheit.
Vier von fünf Befragten haben ein Konto bei der Bank (81 Prozent) und drei der vier Kontobesitzer nutzen Online-Banking (77 Prozent). Oftmals handelt es sich um „Taschengeldkonten“. Viele haben keinen vollen Zugang zu Konten. Sie nutzen Gutscheine für Online-Shops, Guthabenkarten oder Bargeld. Oder sie sind auf das Wohlwollen ihrer Umgebung angewiesen, müssen Konsum-wünsche und Kaufentscheidungen mit ihren betreuenden Personen aushandeln oder Familie und Freunde fragen, ob sie Zahlungen für sie tätigen. Wenn Online-Shopping und Online-Banking genutzt wird, kann schnell die Sorge entstehen, Fehler zu machen, den Überblick zu verlieren oder etwas falsch zu verstehen. Einfache digitale Lösungen für Übersicht, Budgeteinteilungen und Sicherheit bei Zahlungen oder Prepaid-Mechanismen, die besonders reizarm gestaltet sind, können Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen unterstützen.
Abhängigkeit von anderen Menschen bremst eigene Erfahrungen.
Wenn es um das Wissen über das eigene Geld geht, bewertet rund ein Drittel dieses als gut, 12 Prozent schätzen es als mittelmäßig ein. Doch fast die Hälfte (49 Prozent) schätzt ihr Wissen als (zu) schlecht ein. Die Befragten gaben an, dass sie in vielen Fällen von anderen Menschen abhängig sind – beispielsweise von ihren Eltern, den betreuenden Personen oder Beratungs-personen in Banken. Es ist gut, wenn sie Hilfe bekommen. Eine Herausforderung ist jedoch hierbei, dass sie damit auf andere Menschen angewiesen bleiben und der eigene Handlungsradius in Bezug auf finanzielle Teilhabe sowie die Möglichkeit, finanzielles Erfahrungswissen zu erwerben, klein bleibt. Dabei werden oft auch die Menschen nicht selbst, sondern in erster Linie die betreuenden Personen angesprochen. Ansprache von Menschen auf Augenhöhe und in einer leicht verständlichen Sprache kann zu mehr Inklusion beitragen.